Spiritualität und Psychotherapie

Oft werde ich gefragt, ob auch Spiritualität Teil meiner psychotherapeutischen Arbeit ist. Gerne antworte ich dann mit einer Gegenfrage: wie könnte es nicht Teil meiner Arbeit sein?

Egal, ob ein Mensch einen aktiven spirituellen Weg beschreitet, oder aktiver Teil einer religiösen Gemeinschaft ist, ob er an ein Jenseits oder an einen Gott glaubt oder ganz im materiell-existenzialistischen Weltbild verhaftet ist, zeigen sich spirituelle Aspekte und Fragen im Lauf eines psychotherapeutischen Prozesses ganz von Selbst. Jedem Mensch wohnt eine spirituelle Sehnsucht inne, eine tiefe Sehnsucht nach Angebunden und Getragen-sein.

Mein persönlicher Zugang zur Spiritualität ist geprägt durch meinen buddhistischen Hintergrund. Ich habe mich viel mit der buddhistischen Philosophie beschäftigt und auch einiges an buddhistischer Praxis erfahren dürfen. So ist mein Menschenbild natürlich davon beeinflusst, aber auch von der Theorie und Praxis des „IFS“-Ansatzes von Richard Schwartz.

Wie auch die buddhistische Psychologie unterscheiden auch Richard Schwartz und sein Schüler Tom Holmes zwischen einem „Wahren Selbst“ (im Buddhismus die „Buddha-Natur“) und dem sich in verschiedenen Persönlichkeitsaspekten bzw. -anteilen zeigenden „Ego“, oft mit dem Verstand oder den Gedanken, Glaubenssätzen und Überzeugungen assoziiert, die während der Entwicklung des Menschen erst im Laufe seines Lebens als neuronale Netze – „Muster“ – im Gehirn entstanden ist.

Die buddhistische Psychologie konzentriert sich auf das Verständnis des Geistes und des Leidens. Ihre wichtigtsen Kernpunkte sind:

1. Die Vier edlen Wahrheiten: Erkennen von Leiden, dessen Ursachen, der Beendigung des Leidens und dem Weg dorthin.
2. Achtsamkeit: Bewusstes Wahrnehmen des gegenwärtigen Moments ohne Urteil.
3. Anatta (Nicht-Selbst): Die Lehre, dass es kein festes, unveränderliches Selbst gibt. (Anmerkung: Hier kommt es mMn. oft zu Missverständnissen in den Begrifflichkeiten: wie oben bereits erwähnt, ist hier wahrscheinlich eher vom Ego bzw. der Persönlichkeit die Rede, als vom wahren unvergänglichen Wesenskern eines jeden Menschen, der „Buddha-Natur“. Wobei hier in der buddhistischen Philosophie kein „durchgängiges“ Selbst mit irgendetwas wie einer kohärentem Persönlichkeit, woran sich der Geist, der Ego-Verstand anhaften könnte, gemeint ist, sondern ehe ein loses Aufeinanderfolgen von karmischen Energien in vielen Wiedergeburtszyklen.)
4. Anicca (Vergänglichkeit): Alles ist vergänglich und im ständigen Wandel.
5. Mitgefühl: Entwickeln von Mitgefühl für sich selbst und andere.

Diese Elemente helfen, innere Freiheit und geistiges Wohlbefinden zu erlangen.

Bei Richard Schwartz und seinem „Internen Familien-System“ ist es so, dass sich in der Arbeit mit seinen Klienten und deren unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen – ohne ein aktives Suchen seinerseits danach – zu seinem eigenen Erstaunen sich stets ein vom Ego-Konstrukt abgelöstes „Selbst“ gezeigt hat, reines Bewusstsein, von dem aus – mit einer neutralen, eher beobachtenden Haltung aus – das oft sehr leidvolle Erleben der unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile beobachtet wird, und – so der heilsame Ansatz – von dem aus auch diese leidvollen oder oft auch sehr widersprüchlichen, ambivalenten Anteile besser „gemanaged“, geführt werden können, was zu innerer Befreiung, Entspannung und schließlich Ruhe, Frieden im Innensystem des Klienten, also zur Heilung führt.

Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle natürlich Carl Gustav Jung bleiben. Er betonte in seiner Psychologie einige zentrale Konzepte:

Das kollektive Unbewusste: Ein universelles, transpersonales Bewusstsein, das archetypische Symbole und Muster enthält, die in allen Kulturen zu finden sind.
Individuation: Der Prozess, durch den eine Person ihre eigene Ganzheit und Selbstverwirklichung erreicht, indem sie das Bewusstsein mit dem Unbewussten in Einklang bringt.
Archetypen: Urbilder des kollektiven Unbewussten, die in Träumen, Mythen und Religionen erscheinen und grundlegende menschliche Erfahrungen repräsentieren.
Das Selbst: Das zentrale archetypische Bild, das die Ganzheit der Psyche darstellt und als Ziel der Individuation gilt.

Jung betont in seiner Arbeit stark die Bedeutung von Spiritualität und transzendentalen Erfahrungen als Wege zur Selbstverwirklichung und Heilung.

Dr. Raphael Bonelli referiert in seinem Vortrag „Heil & Heilung: Religiosität als Ressource in der Psychotherapie“ im Rahmen des online Kurses „Schlüssel zur Heilung“ (RPP Institut) über 9 Punkte, warum Religiosität eine große Ressource in der Psychotherapie sein kann:
1. Sinngebung und Lebensbedeutung: Religiosität hilft, schwierige Ereignisse zu verarbeiten
2. Soziale Vernetzung: Religiosität fördert stabile Beziehungen
3. Bessere Bewältigungsstrategien: Religiosität reduziert Stress und Angst
4. Gesunde Verhaltensweisen: Religiosität fördert einen bewußten Lebensstil
5. Rituale und Meditation: Religiosität wirkt beruhigend und stressmindernd
6. Hoffnung und Trost: Religiosität stärkt Resilienz in Krisen
7. Stärkung der Moral und Selbstkontrolle: Religiosität reduziert innere Konflikte
8. Schutz vor Suizid: Religiosität gibt Hoffnung in schwierigen Zeiten
9. Schuld und Vergebung: Religiosität erleichtert Zusammenleben

Abschließend noch eine unvollständige Liste weiterer Psychologen und Therapeuten, die Spiritualität in ihre Arbeit aktiv integrieren:

Viktor Frankl mit der Logotherapie, die Sinn und Spiritualität betont,
Roberto Assagioli mit der Psychosynthese, die spirituelle Dimensionen einschließt,
Ken Wilber mit der Integralen Theorie, die verschiedene Bewusstseinsstufen und spirituelle Entwicklung integriert,
Peter Levine bekannt für Somatic Experiencing, das körperorientierte und oft auch spirituelle Heilungsansätze betont,
Stanislav Grof mit der Transpersonalen Psychologie, oder
Abraham Maslow, der in seiner Bedürfnispyramide auch die Selbstverwirklichung als spirituelles Wachstum betrachtet hat.

Für mich ist spätestens seit der intensiven Auseinandersetzung mit Nahtoderfahrenden völlig klar, dass jedem Menschen ein Spirit innewohnt, ob sein Verstand nun daran glaubt, oder nicht. Legen Sie eine Hand auf Ihr Herz und überprüfen Sie es.

Ich forciere diese Fragen aber in meiner Arbeit nicht aktiv, denn die Themen, die in meinen Sitzungen besprochen werden, kommen selbstverständlich stets von meinen Klienten, nicht von mir.

Dieser kleine Blogbeitrag nur dafür, damit Sie wissen, was mein eigener persönlicher Zugang zu spirituellen Fragen ist. Wenn es für Sie ein Thema ist oder es sich im psychotherapeutischen Prozess so ergibt, wird selbstverständlich auch dafür Platz sein!

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